Nietzsche, The Gay Science, 373


Aph. 373. "Science" as a prejudice.—It follows from the laws of order of ranking that scholars, insofar as they belong to the spiritual middle class, can never catch sight of the really great problems and question marks; moreover, their courage and their eyes simply do not reach that far—and above all, their needs which led them to become scholars in the first place, their inmost assumptions and desires that things might be such and such, their fears and hopes all come to rest and are satisfied too soon. Take, for example, that pedantic Englishman, Herbert Spencer. What makes him "enthuse" in his way and then leads him to draw a line of hope, a horizon of desirability—that eventual reconciliation of "egoism and altruism" about which he raves—almost nauseates the likes of us; a human race that adopted such Spencerian perspectives as its ultimate perspectives would seem to us worthy of contempt, of annihilation! But the mere fact that he had to experience as his highest hope something that to others appears and may appear only as a disgusting possibility poses a question mark that Spencer would have been incapable of foreseeing.

It is no different with the faith with which so many materialistic natural scientists rest content nowadays, the faith in a world that is supposed to have its equivalent and its measure in human thought and human valuations—a "world of truth" that can be mastered completely and forever with the aid of our square little reason. What? Do we really want to permit existence to be degraded for us like this—reduced to a mere exercise for a calculator and an indoor diversion for mathematicians? Above all, one should not wish to divest existence of its rich ambiguity that is a dictate of good taste, gentlemen, the taste of reverence for everything that lies beyond your horizon. That the only justifiable interpretation of the world should be one in which you are justified because one can continue to work and do research scientifically in your sense (you really mean, mechanistically?)—an interpretation that permits counting, calculating, weighing, seeing, and touching, and nothing more—that is a crudity and naivete, assuming that it is not a mental illness, an idiocy.

Would it not be rather probable that, conversely, precisely the most superficial and external aspect of existence—what is most apparent, its skin and sensualization—would be grasped first—and might even be the only thing that allowed itself to be grasped? A "scientific" interpretation of the world, as you understand it, might therefore still be one of the most stupid of all possible interpretations of the world, meaning that it be one of the poorest in meaning. This thought is intended for the ears and consciences of our mechanists who nowadays like to pass as philosophers and insist that mechanics is the doctrine of the first and last laws on which all existence must be based as on a ground floor. But an essentially mechanical world would be an essentially meaningless world. Assuming that one estimated the value of a piece of music according to how much of it could be counted, calculated, and expressed in formulas: how absurd would such a "scientific" estimation of music be! What would one have comprehended, understood, grasped of it? Nothing, really nothing of what is "music" in it!

from Selections from Nietzsche, The Gay Science (1882/1887)

German version:


„Wissenschaft“ als Vorurtheil. — Es folgt aus den Gesetzen der Rangordnung, dass Gelehrte, insofern sie dem geistigen Mittelstande zugehören, die eigentlichen grossen Probleme und Fragezeichen gar nicht in Sicht bekommen dürfen: zudem reicht ihr Muth und ebenso ihr Blick nicht bis dahin, — vor Allem, ihr Bedürfniss, das sie zu Forschern macht, ihr inneres Vorausnehmen und Wünschen, es möchteso und so beschaffen sein, ihr Fürchten und Hoffen kommt zu bald schon zur Ruhe, zur Befriedigung. Was zum Beispiel den pedantischen Engländer Herbert Spencer auf seine Weise schwärmen macht und einen Hoffnungs-Strich, eine Horizont-Linie der Wünschbarkeit ziehen heisst, jene endliche Versöhnung von „Egoismus und Altruismus“, von der er fabelt, das macht Unsereinem beinahe Ekel: — eine Menschheit mit solchen Spencer’schen Perspektiven als letzten Perspektiven schiene uns der Verachtung, der Vernichtung werth! Aber schon dass Etwas als höchste Hoffnung von ihm empfunden werden muss, was Anderen bloss als widerliche Möglichkeit gilt und gelten darf, ist ein Fragezeichen, welches Spencer nicht vorauszusehn vermocht hätte…

Ebenso steht es mit jenem Glauben, mit dem sich jetzt so viele materialistische Naturforscher zufrieden geben, dem Glauben an eine Welt, welche im menschlichen Denken, in menschlichen Werthbegriffen ihr Äquivalent und Maass haben soll, an eine „Welt der Wahrheit“, der man mit Hülfe unsrer viereckigen kleinen Menschenvernunft letztgültig beizukommen vermöchte — wie? wollen wir uns wirklich dergestalt das Dasein zu einer Rechenknechts-Uebung und Stubenhockerei für Mathematiker herabwürdigen lassen? Man soll es vor Allem nicht seines vieldeutigen Charakters entkleiden wollen: das fordert der gute Geschmack, meine Herren, der Geschmack der Ehrfurcht vor Allem, was über euren Horizont geht! Dass allein eine Welt-Interpretation im Rechte sei, bei derihr zu Rechte besteht, bei der wissenschaftlich in eurem Sinne (— ihr meint eigentlich mechanistisch?) geforscht und fortgearbeitet werden kann, eine solche, die Zählen, Rechnen, Wägen, Sehn und Greifen und nichts weiter zulässt, das ist eine Plumpheit und Naivetät, gesetzt, dass es keine Geisteskrankheit, kein Idiotismus ist.

Wäre es umgekehrt nicht recht wahrscheinlich, dass sich gerade das Oberflächlichste und Aeusserlichste vom Dasein — sein Scheinbarstes, seine Haut und Versinnlichung — am Ersten fassen liesse? vielleicht sogar allein fassen liesse? Eine „wissenschaftliche“ Welt-Interpretation, wie ihr sie versteht, könnte folglich immer noch eine derdümmsten, das heisst sinnärmsten aller möglichen Welt-Interpretationen sein: dies den Herrn Mechanikern in’s Ohr und Gewissen gesagt, die heute gern unter die Philosophen laufen und durchaus vermeinen, Mechanik sei die Lehre von den ersten und letzten Gesetzen, auf denen wie auf einem Grundstocke alles Dasein aufgebaut sein müsse. Aber eine essentiell mechanische Welt wäre eine essentiell sinnlose Welt! Gesetzt, man schätzte den Werth einer Musik darnach ab, wie viel von ihr gezählt, berechnet, in Formeln gebracht werden könne — wie absurd wäre eine solche „wissenschaftliche“ Abschätzung der Musik! Was hätte man von ihr begriffen, verstanden, erkannt! Nichts, geradezu Nichts von dem, was eigentlich an ihr „Musik“ ist!…

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